Von unserem Mitglied
ARBEITSPRODUKTIVITÄT, ARBEITSLOSIGKEIT, SOZIALE MARKTWIRTSCHAFT Zusammenfassung: Langfristig kommt steigende Arbeitslosigkeit von steigender Arbeitsproduktivität, nicht von zu geringem
Wirtschaftswachstum.
Der Abb.1 liegt die Tatsache zugrunde, dass das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) jedes Jahr durch die Arbeit aller Erwerbstätigen erzeugt wird. Demnach kann man das jährliche BIP als mathematisches Produkt aller pro Jahr geleisteten Arbeitsstunden mit der durchschnittlichen Produktivität in Euro pro Arbeitsstunde darstellen, und es entsteht die Gleichung (1). Nun wird vereinfachend angenommen, alle Erwerbstätigen würden konstant 50 Arbeitswochen pro Jahr mit 37 Stunden pro Woche, also 1850 Arbeitsstunden pro Jahr (AStd/a) leisten. Dann erhalten wir Gleichung (2). Wenn man die Gleichung (2) nach der Produktivität auflöst entsteht:
Es wird also aus dem
mit Hilfe der
die durchschnittliche
einer volkswirtschaftlichen Arbeitsstunde errechnet. Ziel dieser Berechnung ist nicht der kalkulatorische Wert einer Arbeitsstunde bei der Warenproduktion oder Dienstleistung, sondern eine rechnerische Durchschnittsproduktivität, anhand derer das Zusammenspiel dieser drei volkswirtschaftlichen Parameter im Lauf der letzten Jahrzehnte in Abb.1 dargestellt wird. Die Basiszahlen stammen aus den im Internet veröffentlichten Zeitreihen von Destatis und der Bundesbank. Der Euro ist deflationiert und in Preisen von 1995 angegeben. Der Zeitraum von 1951 bis 1981 in Abb.1 wird durch das Jahr 1962 in zwei Abschnitte geteilt, die durch große graue Punkte in der roten und der grünen Kurve markiert sind. In beiden Abschnitten kann man die beiden Kurven in guter Näherung durch Geraden ersetzen, welche zwei dieser Punkte verbinden. Die Gleichungen dieser Geraden sind in den farbig umrandeten Feldern im Diagramm angegeben. (x = Zahl der Jahre seit dem Anfang der jeweiligen Geraden). Vor 1962 verläuft sowohl die grüne als auch die rote Kurve ansteigend. Nach 1962 ist der Anstieg der roten Produktivitätskurve noch etwas steiler, während die grüne Kurve der Erwerbstätigenzahl — abgesehen von einigen Zickzack-Bewegungen — in die Horizontale umgebogen ist. Das Diagramm beschreibt die volkswirtschaftlichen Grundlagen der im Folgenden geschilderten Entwicklungen.
1951 – 1962 Das Verschwinden der Arbeitslosigkeit
Die rote Produktivitätskurve beginnt bei ca. 10 € pro Arbeitsstunde, also etwa einem Drittel des Wertes, den sie 1981 erreichte. Von 1951 bis 1962 stieg die Produktivität um 57 % an, das BIP aber um 120 % . Der relative Anstieg der Produktivität war also wesentlich geringer als der des BIP. Der Ausgleich musste zwangsläufig durch eine Steigerung der Beschäftigtenzahl erfolgen. Dementsprechend wurden in diesen Jahren Arbeitskräfte ständig gesucht. Die Beschäftigtenzahl stieg von 15 auf 22 Mio. und die graue Kurve der Arbeitslosigkeit fiel innerhalb von 12 Jahren von ihrem Anfangspunkt bei ca. 2 Mio. auf praktisch null. Das war die Zeit des "Deutschen Wirtschaftswunders" und der Erhard'schen "Sozialen Marktwirtschaft". Da Ludwig Erhard die staatliche Wirtschaftslenkung abschaffte und den Unternehmern bei der Produktion und Vermarktung ihrer Erzeugnisse freie Hand ließ, konnte die deutsche Wirtschaft ihre nationalen und globalen Marktchancen maximal nutzen. Dabei wurde infolge der geringen Arbeitsproduktivität die Arbeitslosigkeit ohne jeden staatlichen Eingriff abgebaut. Es gibt nicht selten die Vorstellung, Erhard hätte die Arbeitslosigkeit durch bestimmte Maßnahmen beseitigt, auf die wir heute eventuell zurückgreifen könnten. So sagte Bundeskanzlerin Merkel bei ihrer Antrittsrede: „Warum soll uns das, was uns damals zu Beginn der Bundesrepublik Deutschland in den ersten Gründerjahren unseres Landes gelang, nicht auch heute, in unserer Zeit, in den zweiten Gründerjahren, gelingen?“. Der Grund, aus dem es — zumindest in Bezug auf die Arbeitslosigkeit — nicht gelingen kann, ist (leider) die heutige, hohe Arbeitsproduktivität. Der Bayrische Ministerpräsident Seehofer verkündete in seiner Regierungserklärung lapidar: "Die Renaissance der sozialen Marktwirtschaft wird von München ausgehen". Es ist aber zu bezweifeln, dass es eine solche Renaissance überhaupt geben wird. Als damaliger Bundeswirtschaftsminister sagte zu Guttenberg, "Erhards Prinzipien sind das Fundament unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung". Und weiter: "Der Verweis auf Ludwig Erhard reicht da nicht, die Soziale Marktwirtschaft muss zeitgemäß definiert werden". "Soziale Marktwirtschaft" im Erhard´schen Sinne heißt doch wohl "Arbeit für alle". Eine neue Definition von "sozial", die möglicherweise Arbeitslosigkeit als normalen Bestandteil der Volkswirtschaft definiert, käme zwar den Politikern entgegen, den Arbeitslosen aber gar nicht. Erhards Verdienst war, dass er die Entwicklung, die wir heute rückschauend beschreiben können (beispielsweise durch das Diagramm von Abb.1), so deutlich vorhergesehen hat, dass er bereit war, die Verantwortung für die entsprechende Umgestaltung der deutschen Wirtschaftspolitik zu übernehmen. Eine spezielle Methode zur Senkung der Arbeitslosigkeit, die wir unter den heutigen Verhältnissen anwenden könnten, hatte er nicht und brauchte er nicht. Anmerkung: Die vier im Diagramm gezeigten Formeln für Q und P sind Gleichungen vom Typ y = b + ax . Als lineare Näherungsformeln eröffnen sie die Möglichkeit, den Verlauf des BIP für beliebige Zeitabschnitte zu simulieren. Wenn wir z.B. wissen wollen, wie das Wachstum des BIP verlaufen wäre, wenn sich die Entwicklung der Erwerbstätigenzahl Q und der Produktivität P im Jahr 1962 nicht geändert sondern unverändert fortgesetzt hätte, dann müssen wir in der folgenden Gleichung die Parameter Q und P durch den Ausdruck ersetzen, der ihre Abhängigkeit von der Zeit x mathematisch beschreibt. BIP = Q * 1850 * P BIP = (14,77 + 0,656 * x) * 10^6 * 1850 * (9,98 + 0,52 * x) Die dünne schwarze Kurve "BIP(a)" im Diagramm entspricht dieser Gleichung. Beim Ausmultiplizieren der Klammern in der unteren Gleichung entsteht neben dem linearen auch ein quadratisches Glied. Das heißt, von 1951 bis 1962 in der Ehrhard´schen Epoche war die reale BIP-Kurve keine Gerade, sondern eine Parabel, deren sehr geringe Krümmung man in dem relativ kurzen Zeitabschnitt allerdings nur durch Vergleich mit der berechneten Kurve BIP(a) bemerkt. Danach aber verlässt die berechnete Parabel die lineare Trasse der realen BIP-Kurve und steigt immer steiler an. Der Grund ist unsere Annahme, dass die Zahl der Erwerbstätigen auch nach 1962 noch um 0,656 Mio. pro Jahr steigen soll (obere Formel im grünen Rahmen!). Wer zur Bekämpfung unserer heutigen Arbeitslosigkeit einen Rückgriff auf die Verhältnisse unter Ludwig Erhard machen wollte, der wünschte sich eindeutig zu viel des Guten. Das zeigt ein Vergleich der grünen Erwerbstätigen-Kurve zwischen 1951 und 1962 mit der grauen Arbeitslosen-Kurve zwischen 1973 und 1997. Die Zahl der Arbeitslosen stieg um durchschnittlich 0,171 Mio. pro Jahr. Der Bedarf an Arbeitskräften zu Erhards Zeiten stieg also fast viermal so rasch wie seit 1973 die Zahl der Arbeitsuchenden. Schon nach wenigen Jahren wäre wieder Arbeitskräftemangel eingetreten. Die allein zur Vermeidung der Arbeitslosigkeit erforderliche Entwicklung wäre weniger dramatisch gewesen. Das zeigt die schwarze Kurve BIP(b). Sie simuliert den Verlauf des BIP, wenn die Zahl der Erwerbstätigen und die Arbeitsproduktivitität so steigen würden, wie es die beiden Formeln für 1962 - 81 angeben, jedoch mit der Veränderung, dass ab 1973 die Zahl der Arbeitslosen (graue Kurve) den Erwerbstätigen zugerechnet wird. Aber auch diese relativ geringe Steigerung des Wirtschaftswachstums, durch die wir die Arbeitslosigkeit hätten vermeiden können, ist uns trotz aller kreditfinanzierten staatlichen Investitionen nicht gelungen! 1962 – 1973 Vollbeschäftigung Im Jahr 1962 entstand ein heute schwer vorstellbares Problem: Es gab viele freie Arbeitsplätze, aber keine Menschen die sie haben wollten. Die Arbeitslosigkeit war auf praktisch null gesunken. Es herrschte Vollbeschäftigung. (Eine Schilderung der damaligen Verhältnisse ist als Anhang beigefügt). Die rote Produktivitätskurve verrät, wie die Unternehmer in dieser Lage reagierten: Sie wird sie steiler, das heißt der Produktivitätsanstieg wurde beschleunigt. Bis 1962 stieg die Kurve um Durchschnitt jedes Jahr um 0,52 Euro € pro Arbeitsstunde, ab 1962 jedoch um 0,62 Euro, was einer 19-prozentigen Beschleunigung des Produktivitätsanstiegs entspricht (vgl. die rot eingerahmten Formeln in Abb.1). Das Bruttoinlandsprodukt stieg in diesem Zeitraum von 702 auf 1110 Mrd. €/a, das sind 58 %. Hätte die Produktivität die alte Wachstumsgeschwindigkeit von 0,52 Euro pro Arbeitsstunde und Jahr beibehalten, dann wäre sie in dieser Zeit nur um ca. 36 % gewachsen. Durch die Beschleunigung auf 0,62 Euro pro Arbeitsstunde und Jahr entsprach das relative Wachstum der Produktivität mit 54 % in etwa dem des BIP. Das heißt: Durch die Steigerung der Arbeitsproduktivität konnten die Unternehmer die wachsenden Anforderungen des Marktes erfüllen, ohne zusätzliche Arbeitskräfte einstellen zu müssen. 1967 Die erste Rezession In die Epoche 1962 bis 73 fiel diese erste, noch harmlose und wie nach Lehrbuch ablaufende Rezession von 1967. Die Arbeitslosigkeit stieg um 0,3 Millionen, das BIP nahm vorübergehend um 0,3% ab. In den folgenden 3 Jahren nahm der Staat zwecks Konjunkturförderung ca. 35 Mrd. € Kredite auf, die Arbeitslosigkeit ging auf den früheren Minimalwert zurück, das relative Wirtschaftswachstum stieg auf mehr als 5% pro Jahr und der Staat zahlte 20 Mrd. € Schulden zurück. Die beiden unterstrichenen Zahlen bedeuten, dass der Staat damals mit ungefähr 0,12 Mio. Euro jeweils einen Arbeitsplatz wiederherstellen konnte. Diese Zahl entspricht einem Befund aus einer früheren Arbeit, wonach in der Zeit von 1950 bis 1962 ein jährliches BIP-Wachstum von jeweils 0,1 Mio. im Durchschnitt einen zusätzlichen Arbeitsplatz erzeugt hat. (Später ergab sich in vergleichbarere Weise ein Wert von ca. 0,3 Mio. pro Arbeitsplatz) 1974 – 1990 Steigende Arbeitslosigkeit, steigende Staatsschulden Wie zu erwarten, wurde der während des Arbeitskräftemangels bewirkte schnellere Produktivitätsanstieg keineswegs rückgängig gemacht, als mit der Rezession 1974/75 der irreversible Anstieg der Arbeitslosigkeit begann. In den Rezessionen stieg die Arbeitslosenzahl stark an, ging aber in den jeweils folgenden Jahren mit normalem Wirtschaftswachstum nicht mehr auf den früheren Wert zurück. Im großen Durchschnitt dieser Epoche stieg jedes Jahr die Staatsverschuldung um ca. 30 Mrd. € und zugleich die Arbeitslosenzahl um ca. 0,13 Mio. Das bekannte Keynes-Rezept (Konjunkturförderung durch staatliches "deficit spending" erzeugt Arbeitsplätze und ermöglicht die Rückzahlung der Kredite) funktionierte also nicht mehr. In einer früheren Arbeit wurde gezeigt, dass die jährliche Neuverschuldung umso größer war, je rascher die Arbeitslosigkeit anstieg. Die ständig und zeitweise sogar dramatisch zunehmende Staatsverschuldung diente nicht mehr der Schaffung von Arbeitsplätzen, sondern zur Finanzierung der Arbeitslosigkeit. Ab 1981 nicht deutbarer Verlauf der Kurven Ab 1981 sind die Verläufe der roten und der grünen Kurve in Abb.1 — beispielsweise die Absenkung der roten Kurve von 1982 bis 1990 — nicht mehr plausibel. Es hat sich gezeigt, dass diese Anomalien nach einer vom Statistischen Bundesamt im Jahr 2005 vorgenommenen Revision der VGR (Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung) und der Herausgabe neuer Zahlen nicht mehr auftreten. Der vorgesehene Teil 3 der Arbeit wird sich vor allem sich mit dem Einfluss der Deutschen Wiedervereinigung auf das Bruttoinlandsprodukt beschäftigen. ANHANG "Das Deutsche Wirtschaftswunder" Unter dieser volkstümlichen Bezeichnung ging die Epoche des wirtschaftlichen Wiederaufbaus und der Vollbeschäftigung nach dem Zweiten Weltkrieg in die Geschichte ein. Sie begann am 21.6.1948 mit der Währungsreform von der Reichsmark zur DM. Zwar wurde diese Umstellung erst kurz zuvor öffentlich mitgeteilt, doch wurde das Ereignis von der Bevölkerung vorausgeahnt. Deswegen hielten die Fabrikanten und Händler, solange noch die Reichsmark galt, ihre Ware zurück. Am Tag der Ausgabe des neuen Geldes waren dann alle Schaufenster in allen Geschäften, wie von Zauberhand gefüllt mit lang entbehrten Waren aller Art. Nichts hätte den Menschen den hoffnungsvollen Beginn der freien Marktwirtschaft eindrucksvoller vor Augen führen können als dieses Ereignis! Allerdings fand das "Wirtschaftswunder" nur in Westdeutschland statt, wo die Militärregierungen der demokratischen Siegermächte die Einführung der freien Marktwirtschaft gestatteten. Für die Menschen in der SBZ (sowjetischen Besatzungszone) waren die Berichte aus dem Westen wie eine Kunde aus dem Märchenland, und die sowjetische Besatzungsmacht hatte ein Problem: Sie sah sich gezwungen, in ihrem Teil Deutschlands für ein besseres Warenangebot zu sorgen als in der Sowjetunion selbst, um das für ihre Ideologen äußerst peinliche Wohlstandsgefälle von Deutschland West nach Deutschland Ost wenigsten zu mildern.
So wie heute der Anstieg der Arbeitslosigkeit in unserem Staat die sattsam bekannten Schwierigkeiten und Besorgnisse verursacht, war umgekehrt die Epoche der steigenden Beschäftigtenzahlen und der sinkenden Arbeitslosigkeit ab 1950 geprägt von Aufbruchsstimmung, Zuversicht und sozialer Sicherheit. Durch die 6 Kriegsjahre fast ohne Produktion von Bedarfsgütern und die materiellen Verluste durch den Krieg war ein enormer Nachholbedarf entstanden. Die zahlreichen Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten und die Abwanderer aus der DDR waren bestrebt, sich durch Arbeit und Erwerb von Eigentum eine neue Existenz zu schaffen. Produktion und Nachfrage liefen auf Hochtouren. Auch im Erhard'schen "Wohlstand für alle" gab es hohe und niedrige Einkommen. Aber es gab keine sozialen Missstände wie z.B. Lohnkürzungen oder Entlassung für die Mitarbeiter und zugleich Millionen-Einkommen für die Top-Manager. Trotzdem das preisbereinigte Volkseinkommen heute mehrmals so groß ist wie unter Erhard, gibt es das Gefühl der Älteren unter uns, dass es uns damals besser ging als heute. Dies liegt zum Teil daran, dass die Verteilung damals gerechter war, aber auch an dem hohen relativen Wirtschaftwachstum, welches sich Anfang der fünfziger Jahre wegen des noch niedrigen BIP bei etwa 5 bis 10 % pro Jahr bewegte. Eindrucksvolle Lohn- und Gehaltserhöhungen waren damals leichter zu erreichen als heute. Damals konnten die Unternehmen ihre Marktchancen überhaupt nur voll nutzen, wenn sie sich um die Einstellung neuer Mitarbeiter bemühten. Und Arbeitskräfte waren knapp! Die Digitalisierung war gerade erst im Kommen, die Steuerungstechnik in den Produktionsanlagen war noch relativ einfach. Deswegen bestand das Firmen-Know-how zu einem größeren Teil als heute aus den Spezialkenntnissen der Mitarbeiter. Entsprechend stark war die Position der Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt. Die zunehmende Produktivität ließ die Reallöhne für alle steigen. Traditionsreiche Unternehmen bemühten sich, durch soziale Maßnahmen die Mitarbeiter im Unternehmen zu halten und neue anzuwerben.
In den Arbeitsämtern gab es Arbeitskräfte „nur noch hinter dem Schreibtisch“, scherzte man. Es kamen die „Gastarbeiter“ aus Südeuropa. Lehrstellen und Stellenangebote für Hochschulabsolventen gab es im Überfluss. Eine Zeitung schilderte einen Lehrling, der angeblich die ihm angetragene Lehrstelle schließlich doch ablehnte, „weil der Begrüßungssekt nicht kalt genug war“ (Satire!). Ein Hochschulabsolvent schrieb an eine renommierte Firma, er habe die Absicht, sich bei ihr um eine Stellung zu bewerben. Bedingung sei jedoch, dass man ihm zuvor Auskunft über die wirtschaftliche Situation des Unternehmens gäbe. (Wirklich vorgekommen! Allerdings erhielt der Betreffende eine Absage.)
Auch für einfache Tätigkeiten (Beispiel: "Der Betriebskehrer") gab es eine Entlohnung, von der man ohne staatliche Unterstützung leben konnte. Anspruchsvollere Tätigkeiten wurden ausreichend honoriert. Das Einkommen der berufstätigen Männer reichte in den meisten Fällen aus, um eine Familie mit Kindern zu unterhalten. Dass verheiratete Mütter entgegen ihren Wünschen arbeiten mussten um mitzuverdienen, war selten.
Streikdrohungen der Gewerkschaften waren meist erfolgreich, denn die Unternehmer akzeptierten lieber eine fünfprozentige Lohnerhöhung ohne Arbeitskampf als den Verlust von Geschäften durch streikbedingten Produktionsausfall. Die höheren Lohnkosten konnten durch Preiserhöhungen wieder hereingeholt werden. Dementsprechend wurden in der Industrie Preise und Löhne auch meist in Fünf-Prozent-Schritten angehoben.
Es kam vor, dass Beschäftigte ein langjähriges Arbeitsverhältnis sorglos kündigten, um als nominelle „Leiharbeiter“ an ihren gewohnten Arbeitsplatz zurückzukehren. Dann erhielten sie zusätzlich zum Lohn eine „Auslösung“ allein aus dem formalen Grund, dass der Firmensitz der Leihfirma und der Arbeitsort der verliehenen Arbeitskräfte nicht identisch waren. (Heute kennen wir eher den umgekehrten Vorgang, dass Unternehmer ihre Mitarbeiter an "Auffanggesellschaften" abgeben, um weniger Lohn zahlen zu müssen.)
Bausparen war bei abhängig Beschäftigten weit verbreitet. Traditionsreiche Firmen unterstützten bewusst ihre Mitarbeiter bei dem Streben nach Wohneigentum, um sie auf Dauer zu behalten. Diese wiederum konnten damit rechnen, ihre gesamte Lebensarbeitszeit bei "ihrem" Unternehmen zu verbringen und das Eigenheim bei sicherem und steigendem Einkommen ohne Risiko abzahlen zu können. Eine Hypothekenkrise wie 2008 in den USA war damals nicht denkbar.
Investitionsgüter waren stark gefragt. Deren Preise wurden ständig erhöht. Trotzdem investierten die Unternehmen mitunter fast hektisch, weil die Produkte der zu errichtenden Anlagen mitunter schon vor der Inbetriebnahme von der Kundschaft fest geordert waren.
Auch damals gab es "unausgeglichene" Staatshaushalte, aber in anderem Sinn als heute. Adenauers Finanzminister Fritz Schäffer hatte (kaufkraftmäßig) um 35 Mrd. € höhere Einnahmen als Ausgaben, die er unter der volkstümlichen Bezeichnung "Juliusturm" als Rücklage ansammelte.
Diese einzigartige Entwicklung war nur möglich vom Ausgangspunkt "Nachkriegs-Situation", gekennzeichnet durch die im Krieg eingeführte Zwangsbewirtschaftung des unzureichenden Angebots an Nahrungsmitteln und Bedarfsgütern aller Art, andererseits aber durch die noch aus Friedenszeiten vorhandene Tradition von Industrie, Gewerbe, Handel und Bildung eines hoch entwickelten Staates. Von dieser Basis aus konnte es nur aufwärts gehen!
Zaghafte Verwaltungsbeamte hätten damals wahrscheinlich versucht, das Liefersoll der landwirtschaftlichen und industriellen Betriebe allmählich zu erhöhen, um der Bevölkerung mehr Güter zuteilen zu können. Sie hätten auch die Verbraucherpreise reguliert, um die Ausnutzung der Warenknappheit für Preissteigerungen zu unterbinden. Sie hätten also ungefähr das angestrebt, was in der SBZ aus weltanschaulichen Gründen damals gerade vorbereitet wurde.
Ludwig Erhard aber erkannte die Chance, durch die Freigabe von Produktion und Handel Arbeitsplätze und Wohlstand für alle zu schaffen und hatte den Mut, die staatliche Reglementierung kurzerhand zu beenden. Sein Erfolg war jedoch nur durch die damals niedrige Arbeitsproduktivität möglich, die weniger als ein Drittel der heutigen betrug. Wäre sie damals schon so hoch gewesen wie heute, hätte selbst ein Ludwig Erhard die Arbeitslosigkeit nicht abbauen können.
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